„Einen Anstoß für Veränderungen zum Wohle der Gemeinschaft in Tirol leisten“ ist das Motto des spannenden Forschungsprojekts, welches Studierende im Department für Soziale Arbeit am MCI gemeinsam mit der Lebenshilfe Tirol in den letzten neun Monaten intensiv behandelt haben. Im Zentrum des Projekts steht dabei die Forschungsfrage, wie Menschen mit intellektuellen Behinderungen, die über 50 Jahre alt sind, wohnen wollen.
Die Ergebnisse erfassen nicht nur in einer umfangreichen Übersicht die aktuelle Lebenssituation von älteren Menschen mit Behinderungen in Tirol, sondern beinhalten auch konkrete Empfehlungen als Anstoß für eine zukunftsfähige Weiterentwicklung der aktuellen Wohn- und Pflegestrukturen für die betroffenen Personen. Diese richtungsweisenden Forschungsergebnisse wurden von Eva Fleischer, FH-Professorin am MCI Innsbruck, nun Soziallandesrätin Gabriele Fischer inklusive Handlungsempfehlungen präsentiert.
Studierende des Studiengangs Soziale Arbeit an der Unternehmerischen Hochschule® führten im Rahmen des Projekts Interviews mit Geschäftsführer/innen und Assistent/innen der Behindertenhilfe in Tirol durch, welche anonymisiert ausgewertet wurden, um diese Fragen zu klären und die Empfehlungen zu erstellen. „Diese Empfehlungen richten sich sowohl an Politik und Verwaltungen in Tirol als auch an die Beschäftigten der Behindertenhilfe selbst“, erklärt Eva Fleischer, Leiterin des Forschungsprojekts am MCI.
Georg Willeit, Geschäftsführer der Lebenshilfe Tirol, ergänzt: „Die Ergebnisse des studentischen Forschungsprojekts können nur ein Anfang sein. Sowohl wir als leistungserbringende Organisationen, als auch das Land als Kostenträger brauchen verlässliche Zahlen und Fakten zum Thema Menschen mit Behinderungen im Alter, um die Tiroler Behindertenhilfe zukunftssicher aufzustellen“.
Forschungsbestrebungen zu diesem Thema sind außerordentlich wichtig, um die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen im Alter in Tirol zu verbessern. In einem nächsten Schritt werden Menschen mit Behinderung eingebunden“, so Landesrätin Gabriele Fischer.
Zu den Handlungsempfehlungen zählen:
Wohnangebote auf individuelle Bedürfnisse zuschneiden
Eine zentrale Erkenntnis ist, dass Wohnangebote besser auf die individuellen Bedürfnisse ihrer Nutzer/innen zugeschnitten werden müssen. Das Land Tirol sollte individuelle Wohnangebote schaffen, die zwischen mobilem und stationärem Wohnen angesiedelt sind und die Finanzierung einer solchen „individuellen Leistung“ sicherstellen. „Damit Menschen mit Behinderungen in ihrem gewohnten Lebensumfeld alt werden können, ist es notwendig, Leistungen der Behindertenhilfe und der Pflege im Alter zusammenzuführen. Altersbedingte Pflege muss auch in der Behindertenhilfe möglich sein“, erläutert Yannick Tahn, ein Mitwirkender des Forschungsprojekts.
Zugang zu Angeboten der allgemeinen Senior/innenarbeit sicherstellen
„Im Sinne der Inklusion sollten Menschen mit Beeinträchtigung zudem besseren Zugang zu Angeboten der Senior/innenarbeit, wie z.B. Senior/innenausflügen oder der Nachtbereitschaft im Stadtviertel, erhalten und bei der Städte- und Sozialplanung berücksichtigt werden. Die Politik ist im Weiteren gefordert, auf den Fachkräftemangel zu antworten, indem sie Pflegeberufe attraktiver macht sowie neue Aus- und Weiterbildungen schafft. Um die Mitbestimmung innerhalb der Träger der Behindertenhilfe zu erhöhen, sollte das Land Tirol die Ausbildung und Beschäftigung von Peer-Berater/innen fördern. Peer-Berater/innen sind beeinträchtigte Personen, die andere beeinträchtigte Personen beraten“, führt Yannick Tahn weiter aus.
Auf Individualität fokussieren
Klar herauskristallisiert hat sich darüber hinaus, dass die Organisationen der Behindertenhilfe in ihren Konzepten und Angeboten vertieft auf die Individualität der Nutzer/innen eingehen sollten. Dazu gehört, verschiedene Wohnmöglichkeiten anzubieten und die individuellen Bedürfnisse durch die Bereitstellung multiprofessioneller Teams (aus Assistenz, Pädagogik, Pflege, Therapie, Sozialer Arbeit) sowie einer barrierefreien Infrastruktur abzudecken. „Zum Gelingen der Inklusion sollten die Organisationen außerdem ihren Weg fortsetzen und Wohnangebote im Sozialraum, also Wohnungen und Wohngemeinschaften in Stadtvierteln und Gemeinden, forcieren“, ergänzt Isabella Salvamoser, die Interviews mit Geschäftsführer/innen durchgeführt hat.
Unterstützung durch Assistent/innen und Gesellschaft
In der alltäglichen Begleitung können Assistent/innen Selbstbestimmung fördern, indem sie Betroffene dazu motivieren, eigene Wünsche zu formulieren und auf die individuellen Kompetenzen, Interessen und Bedürfnisse eingehen. Dies muss bereits im Kindesalter beginnen. Gelingendes Altwerden setzt voraus, dass man von klein auf gelernt hat, Wahlmöglichkeiten zu haben. „Assistent/innen sollten sich den Menschen mit Behinderungen gegenüber als Dienstleister/innen und Anwält/innen verstehen und Arbeitssettings auf Augenhöhe schaffen“, erklärt Umma Sandt, die Interviews mit Assistent/innen geführt hat. „Dass Menschen mit intellektuellen Behinderungen selbstbestimmt leben können, liegt jedoch nicht nur in den Händen der Professionellen. Inklusion kann nur dann funktionieren, wenn die gesamte Gesellschaft mitmacht“, fügt Eva Fleischer hinzu.
Die Tiroler Behindertenhilfe zukunftssicher aufstellen
Neben den inhaltlichen Ergebnissen macht die Forschung auch sichtbar, dass es aktuell sehr wenig Datenmaterial zur Situation der Menschen mit Behinderungen in Tirol gibt. „Die Ergebnisse des studentischen Forschungsprojektes können deswegen nur ein erster Anfang sein. Sowohl wir als leistungserbringende Organisationen, als auch das Land als Kostenträger brauchen verlässliche Zahlen und Fakten zum Thema Menschen mit Beeinträchtigungen im Alter, um die Tiroler Behindertenhilfe zukunftssicher aufzustellen“, erläutert Georg Willeit, Geschäftsführer der Lebenshilfe Tirol. „Besonders wichtig ist dabei, dass neben den Angehörigen auch die Menschen mit Behinderungen als Nutzer/innen und Interessensvertreter/innen selbst zu Wort kommen. Dies war im Rahmen dieser Forschung zwar geplant, konnte wegen der Covid-19 Kontaktbeschränkungen und Risiken jedoch leider nicht in die Tat umgesetzt werden.“